Gehmeditation: Achtsames Gehen auf dem Weg zu Gelassenheit und Würde

Ein Mann läuft eine Straße entlang und führt eine Gehmeditation durch.

Still zu sitzen und zu meditieren fällt vielen Menschen extrem schwer. Gerade, wenn sie aus einem hektischen Arbeitsalltag kommen, sind sie aufgeladen mit unterschiedlichen Reizen. Gesprächsfetzen aus gerade geführten Unterhaltungen und Ideen zu anstehenden Vorhaben schießen kreuz und quer durch den Kopf. Wie sollen sie hier Ruhe finden und meditieren? Wie gelingt es, nichts zu denken? Ein aussichtsloses Unterfangen? Ganz sicher nicht, wenn die gewählte Meditationsform dem innerlich aufgewühlten Zustand angemessen ist. Wer nachhakt, erfährt, dass auch viele dieser gestressten Menschen durchaus einen Weg gefunden haben, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen – nämlich beim Laufen und Gehen. Die Wirkung ist besonders intensiv, wenn dies absichtslos geschieht, ohne Mindestziele anzupeilen oder Bestmarken übertreffen zu wollen. An diesem Punkt ist der Übergang zur Gehmeditation fließend. Das Ziel ist hierbei nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur das Gehen selbst, Schritt für Schritt.

Meditation lernen – der Ursprung der Gehmeditation

Erfunden haben das Meditieren beim Gehen vermutlich alle, die von großer innerer Unruhe geplagt waren. Vielleicht durch Zufall haben sie eines Tages festgestellt, dass es ihnen in der Bewegung leichter fiel, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit jedem Meter wurden sie ruhiger. Lösungen tauchten auf, wenn der Körper mit Gehen beschäftigt war und so der Geist Muße bekam, sich zu sortieren.

Zur eigentlichen Meditationsform erkoren wurde das Gehen im Buddhismus. Bereits weit vor unserer Zeit beschäftigten sich die buddhistischen Mönche damit, die alltäglichen Abläufe bewusst und achtsam zu erleben. Im Zen-Buddhismus etwa gelten Tätigkeiten wie Spülen und Kehren als besonders wichtig für eine Gemeinschaft. Sie werden mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit betrieben wie das Anpflanzen oder das Beten. Der Sinn ist, dass nach und nach jeder scheinbar noch so bedeutungslose Handgriff mit Achtsamkeit und Würde ausgeführt wird. Das stärkt die Achtung vor dem Leben selbst und verleiht dem ganzen Sein Würde. Zudem verankert es im Hier und Jetzt – denn wenn wir das, was wir machen, mit Hingabe und Aufmerksamkeit ausführen, und eben nicht nebenher an alles Mögliche denken, sind wir vollkommen im Hier und Jetzt angelangt.

Auch in christlichen Gemeinschaften praktizierte man eine Art Gehmeditation – denken Sie nur an die Wandelgänge in den Klöstern oder an Prozessionen und Wallfahrten. Beim Gehen und Beten erreicht der Geist einen tiefen Entspannungszustand. Hier ist der Zugang zum Unterbewusstsein und damit zur göttlichen Welt weit geöffnet. So wird Heilung möglich.

Eine Meditation im Gehen – perfekt für den Anfang

Praktisch ist diese Art der Meditation auch, denn das Gehen lässt sich gut im Alltag einbauen. Das ist gerade für all jene interessant, deren Tage strikt durchgetaktet sind und die eigentlich keine übrige Minute haben. Zählen Sie sich dazu? Dann probieren Sie unbedingt das Meditieren im Gehen! Wie das geht, erfahren Sie in der Anleitung in den nächsten beiden Abschnitten. Es ist wirklich leicht und eignet sich auch für Anfängerinnen und Anfänger in der Meditation. Achtsamkeitsübungen sind inklusive, was sich zudem günstig auf die Beziehungen zu anderen Menschen auswirkt.

Ein weiterer großer Vorteil ist, dass Sie die Gehmeditation überall durchführen können. Ist das Wetter gar zu schlecht, gehen Sie einfach bei sich zu Hause auf und ab durch Ihre Räume. Gefällt es Ihnen, können Sie mit etwas Praxis sogar den Weg zur Bushaltestelle oder zum Einkaufsmarkt für Ihre Meditationsübung nutzen.

Meist aber werden Sie sich zum Gehen eine schöne Umgebung in der Natur aussuchen. In einem Park, an einem Fluss entlang oder durch den Wald zu gehen, bereichert die Meditation und tut den Augen und den Füßen gut. Zudem ist hier die Atemluft erheblich sauerstoffreicher. Wer mag, kann die Gehmeditation auch gleich mit dem Waldbaden verbinden. Regelmäßige Bewegung ist ohnehin etwas Feines für Ihre körperliche und geistige Gesundheit. Gehen kräftigt die Muskulatur und stärkt die Balance. Es wirkt ausgleichend auf Herz und Kreislauf und tut der Verdauung gut.

Ein Mensch steht im herbstlichen Wald und genießt die Stille.
Waldbaden und Gehmeditation lassen sich wunderbar verbinden.

Meditieren klärt und beruhigt die Gedanken. Dazu wirkt es positiv bei seelischen Belastungen und kann sogar Ängste und negative Gedanken vertreiben. Die Resilienz nimmt zu. Dies alles zusammen macht die Gehmeditation zu einem unschlagbaren Helfer bei der Bewältigung von Stress.

Die Gehmeditation für zu Hause

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und kommen Sie dort an, wo Sie gerade sind, bevor Sie losgehen. Atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus. Nehmen Sie wahr, wie Ihre Füße fest auf dem Boden stehen. Freuen Sie sich auf das Gehen und auf das Meditieren beim Gehen. Dann gehen Sie los – am besten barfuß. Zu Hause ist das in der Regel auch für ungeübte Barfußgeher und -geherinnen gut machbar.

Bleiben Sie mit Ihren Gedanken beim Gehen. Achten Sie auf Ihre Wahrnehmungen: Wie fühlt es sich an, den Fuß anzuheben und ihn wieder auf dem Boden aufzusetzen? Wie ist es, einen Fuß vor den anderen zu setzen? Bleiben Sie bewusst bei jeder einzelnen Bewegung. Nehmen Sie die Vorgänge in Ihren Muskeln und Gelenken wahr. Beobachten Sie die wechselnden Belastungen, die Anspannung und Entspannung. Bleiben Sie für einige Minuten dabei. Dann atmen Sie nochmals tief ein und aus und wenden sich wieder Ihrem Alltag zu – frischer und gelassener als zuvor.

Die Gehmeditation in der Natur

Schon bald werden Sie Ihre Geh-Meditationen im Freien fortsetzen wollen. Sie haben unterwegs immer Ihr Handy dabei? Wenn Sie sich damit sicherer fühlen, nehmen Sie es mit – aber schalten Sie es auf stumm. Sie wollen jetzt nicht wissen, wer Ihnen schreibt oder Sie anruft.

Bleiben Sie auch bei der Meditation im Freien zunächst einen Augenblick stehen und kommen Sie bewusst an, bevor Sie losgehen. Atmen Sie tief ein und aus. Spüren Sie Ihre Füße, spüren Sie den Untergrund. Freuen Sie sich auf Ihre Gehmeditation.

Dann gehen Sie. Gehen Sie zunächst langsam und seien Sie ganz in diesem Moment. Erleben Sie, wie sich ein Fuß nach dem anderen in die Luft erhebt und auf der Erde aufsetzt. Spüren Sie, wie fest der Untergrund ist und wie gut die Erde Sie trägt. Beobachten Sie Ihre Bewegungen. Schreiten Sie. Geben Sie sich dem Gehen hin. Wenn es Ihnen gefällt, gehen Sie etwas schneller oder verlangsamen Sie Ihre Schritte. Finden Sie ein Tempo, das zu Ihnen passt.

Wenn Sie etwas ablenkt, ein Geräusch, ein Geruch oder ein Anblick, bleiben Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit nur für eine kleine Weile dort, dann atmen Sie tief ein und aus und wenden sich wieder dem Erlebnis des Gehens zu. Lassen Sie die Ablenkung zurück und gehen Sie weiter, achtsam und bewusst.

Gehen Sie, solange Sie mögen oder bis Sie an dem Ort angelangt sind, den Sie erreichen wollten. Es spielt keine Rolle, ob Sie zehn Minuten bewusst gehen oder ob Ihre Gehmeditation eine Stunde dauert. Immer wird sich Ihr Geist danach erfrischter, wacher und gleichzeitig entspannter anfühlen.

Drei Varianten für die Gehmeditation

1. Gehen mit allen Sinnen

Beziehen Sie Ihre Sinne beim Gehen mit ein. Achten Sie nach einigen Minuten des reinen Gehens auf Ihre Sinneseindrücke. Spüren Sie die Luft, die Sie atmen, und die Sonnenstrahlen, die Sie berühren. Nehmen Sie die Gerüche wahr, die Sie umwehen. Sehen Sie die Farben, die Sie umgeben. Hören Sie die Geräusche, die an Ihr Ohr dringen. Spüren Sie Ihren Herzschlag. Und dann gehen Sie wieder nur – langsamer, schneller, rhythmischer und gleichmäßiger.

Bei einer Gehmeditation streift ein Mensch mit seiner Hand durch eine trockene Wiese.
Binden Sie Ihre Sinne bei der Gehmeditation mit ein.

2. Gehen mit einem Mantra

Nehmen Sie einen guten Gedanken mit auf Ihren Weg. Formulieren Sie Ihre Absicht in einem Satz und wiederholen Sie diesen unterwegs wie ein Mantra. Es können Gedanken wie diese sein: „Ich bin sicher“ oder „Ich bin kraftvoll“ oder „Mein Leben entwickelt sich täglich besser“ oder „Mein Leben ist voller Freude“. Oder gehen Sie einen Weg der Dankbarkeit und Freude, indem Sie beim Gehen der Welt freundlich und dankbar zulächeln. Die Erde und ihre Wesen freuen sich schließlich über jedes Lächeln.

3. Gehen auf dem „Blumenweg“

Der Zen-Meister Thich Nhat Hanh gibt den Rat, sich beim Gehen vorzustellen, dass auf jedem unserer Fußabdrücke Blumen wachsen. Das ist ein bezauberndes Bild – denn wenn wir es verstehen, so würdevoll zu wandeln, hinterlassen wir der Erde ein Geschenk, wo immer wir unterwegs sind.

 

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