Naturkapital: Naturrettung mit Preisschild

Der Begriff „Naturkapital“ holt die Natur in die Dimensionen der Ökonomie hinein: Man kann und soll Natur mit wirtschaftlichen Begriffen nicht nur erfassen, sondern bewerten und berechnen.

Wie das geht, verdeutlicht ein Beispiel. Ein Blaukehlchen ist in diesem Kontext ein Kapitalbestand, der Leistungen erbringt: Als Schädlingsbekämpfer und als Verbreiter von Samen sowie Freude fürs menschliche Gemüt. Auf ein Blaukehlchen bezogen ist das – nach Berechnungen des Öko-Pioniers Frederic Vester – 154,09 Euro wert. Die Weltbank hat den Versuch unternommen, das globale Naturkapital zu berechnen, und kommt auf 43,6 Billionen US-Dollar.

Was soll uns das sagen? Wissen wir nicht längst, dass wir ohne die Natur nicht überleben können und sie damit unbezahlbar ist? Die natürliche Vielfalt in Berechnungen zu pressen – das klingt absurd und befremdlich. Doch dahinter steckt ein ehrbares Motiv: Man will die Natur retten.

Was ist Naturkapital?

Der Begriff „Naturkapital“ wurde Ende der 1980er-Jahre durch die ökologische Ökonomie geprägt. Naturkapital umfasst den Kapitalbestand an Naturgütern. Neben dem Blaukehlchen zählt die gesamte Vielfalt an Arten und Ökosystemen dazu sowie der Bestand an Böden, Wasser, Luft und Geologie. Das Entscheidende ist: Dieser Kapitalbestand erbringt vielfältige Leistungen, die man „Ökosystemleistungen“ nennt. Ein Wald liefert Holz und Sauerstoff und speichert Kohlenstoff, eine Aue erbringt Hochwasserschutz, kleinste Lebewesen sorgen für fruchtbare Böden. Diese wiederum verhelfen mit ihrer Filterwirkung zu sauberem Trinkwasser.

Einen Ansatz zur systematischen Erfassung dieser vielfältigen Ökosystemleistungen liefert das Millennium Ecosystem Assessment, das vier Typen unterscheidet:

  1. Basisleistungen (zum Beispiel Photosynthese und Nährstoffkreisläufe)
  2. Versorgungsleistungen (Bereitstellung von Holz, Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Energierohstoffen, Heilpflanzen und so weiter)
  3. Regulierungsleistungen (etwa Filterung von Schadstoffen, Klimaregulierung durch Kohlenstoffspeicherung, Bestäubung von Pflanzen, Schutz vor Überschwemmungen und Erosion)
  4. kulturelle Leistungen (beispielsweise die Lebensqualität).

Das Problem: Naturkapital ist kostbar, wird aber zerstört

Im ökonomischen Sinne sind die Dienstleistungen des Ökosystems Dividenden, die uns aus den Naturgütern zufließen. Auch abseits dieser ökonomischen Sichtweise ist die Umwelt unbestritten ein kostbares Gut. Und was wertvoll ist, behandelt man achtsam – sollte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Menschen greifen zunehmend in die Natur ein und zerstören das Naturkapital, anstatt es wie andere Kapitalbestände zu pflegen. Ein Paradox, das die ökonomische Sichtweise auflösen will.

Die Lösung: Den Wert sichtbar machen

Die Natur ist zwar ein kostbares Gut. Doch weil sie gratis ist, sind ihre Relevanz und die Kosten ihrer Zerstörung weitgehend unsichtbar. Was sichtbar ist, sind quantitative wirtschaftliche Größen, wie Arbeitsplätze, Umsätze oder Steuereinahmen. Diese führt man bei Entscheidungen üblicherweise ins Feld – etwa wenn ein Waldstück für den Straßenbau geopfert wird. Qualitative Argumente des Naturschutzes können sich gegen solche Größen nicht behaupten.

Der Lösungsansatz lautet: Damit die Umwelt in Entscheidungen stärker gewichtet wird, muss man ihre Bedeutung sichtbar machen. Umgekehrt muss man aufzeigen, was uns ihre Zerstörung kostet. Die Bewertung nennt sich „Natural Capital Accounting“, sinngemäß übersetzt „ökonomische Bewertung“ oder auch „Inwertsetzung“.

Eine Wiese ist im Hintergund zu sehen, im Vordergrund hält jemand Geldscheine in der Hand.
Einem Stück Natur einen ökonomischen Wert beizumessen ist der Ansatz des Naturkapitals.

Ökonomische Argumente für den Naturschutz

Deutlich gemacht hat diese Zusammenhänge unter anderem das Projekt Naturkapital Deutschland – TEEB DE. Es hat über mehrere Jahre daran gearbeitet, den Wert von Naturkapital in Deutschland aufzuzeigen. Eine Inwertsetzung, betonen die TEEB-Autoren, müsse nicht in Geldwerten erfolgen. Allerdings könne man auf diese Weise Verantwortliche erreichen, die nur auf ökonomische Parameter reagieren würden. Ethische und ökologische Argumente seien für diese Gruppe wenig relevant, heißt es sinngemäß in den Berichten. Am Ende soll die ökonomische Bewertung von Naturkapital aufzeigen, dass sich Nachhaltigkeit auch ökonomisch rechnet. Damit will man ein zusätzliches Argument gegen Naturzerstörung liefern.

Wie lässt sich berechnen, was Natur wert ist?

Die größte Herausforderung liegt darin, einen Geldwert für etwas zu berechnen, was so vielfältig und komplex ist wie die Natur. Deshalb packt man sie in einzelne Einheiten an Beständen und Ökosystemleistungen ab und addiert die Werte. Man behilft sich damit, den laufenden Nutzen mit Hilfe von Marktpreisen zu berechnen. Etwa in Form von Holz und Nahrungsmitteln, die ein Tropenwald zur Verfügung stellt.

Für Bestände wie Biodiversität und für die meisten Ökosystemleistungen gibt es aber keine Marktpreise. Diese werden deshalb entweder nur rudimentär in die Bewertung einbezogen. Oder die Werte von Ökosystemleistungen basieren auf Vereinfachungen und Schätzungen – je nach Bewertungsmethodik. Bisher gibt es keine einheitliche Herangehensweise. Der Naturkapitalwert, den die Weltbank berechnet hat, ist mit Vorsicht zu genießen. Hier wurden fast ausschließlich Bestände berücksichtigt, die über Marktpreise bewertet werden können.

Was bringt die Naturkapitalbewertung für den Naturschutz?

Ungeachtet der methodischen Schwächen läuft die Berechnung der Natur auf Hochtouren. Beziffert man all ihre Dienstleistungen, ist eine 100-jährige Buche rund 271.000 Euro wert – circa das 2.000-Fache ihres bloßen Holzwertes. Der wirtschaftliche Wert der Bestäubungsleistung von Insekten beträgt global schätzungsweise 235–577 Milliarden US-Dollar. Die Gewässerschutzwirkung von Mooren und Grünlandstandorten in Deutschland entspricht laut TEEB-Abschlussbericht circa 540 Millionen Euro jährlich. So viel würde es uns kosten, wenn diese Ökosystemleistung wegfallen würde.

Eine Moorlandschaft mit grünen Wiesen.
Moore sind wertvolle Kohlenstoffsspeicher, deren Bestand bedroht ist.

An Zahlen mangelt es nicht. Die Frage ist nur: Was springt am Ende für den Naturschutz heraus? Auch das Bundesamt für Naturschutz ist dieser Frage nachgegangen. Die Behörde sieht viele Potenziale. So könnte die ökonomische Bewertung Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung sowie auf gesetzliche Vorgaben und Förderungen haben.

Mit dem Ökosystemleistungskonzept rückt man bisher vernachlässigte Ökosystemleistungen systematisch in den Blick. Dazu gehören etwa Wasserrückhalt, Grundwasserqualität und CO2-Speicherung von agrarischen Flächennutzungen gegenüber der dominierenden Ökosystemleistung „Nahrungsmittel“. Daher ließe sich das Konzept sowohl in die bisherige Diskussion über den Naturschutz als auch in Entscheidungsprozesse und in die Praxis integrieren. Beispiele hierfür seien Prüfungen der Umweltverträglichkeit, strategische Umweltprüfungen, die Landschaftsplanung oder die Forst- und Agrarpolitik. Beweise stehen jedoch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Das Bundesamt zieht das Fazit, dass es an Untersuchungen mangele, inwiefern Erkenntnisse aus Bewertungsstudien wirklich auf Entscheidungen gewirkt hätten. Daher sei es nicht möglich, eine sinnvolle Schlussfolgerung zum Nutzen der ökonomischen Bewertung von Leistungen der Natur in Deutschland zu ziehen.

Die Bewertung von Naturkapital liefert eine verfälschte Realität

Es ist günstiger, nachhaltig mit der Natur umzugehen. Zu diesem Rückschluss will der Ansatz des Naturkapitals im konkreten Einzelfall verhelfen. Doch was ist, wenn die Schlussfolgerung einer Berechnung das Gegenteil ist: Dass sich Naturschutz nicht rechnet? Zum Beispiel, dass es günstiger ist, Bestäubungsleistungen von schlecht bezahlten Menschen erbringen zu lassen. Haben die Bienen dann ausgesorgt?

Dass mögliche Fehlinterpretationen mit der Berechnungsmethode einhergehen, zeigt die Broschüre Geld wächst nicht auf Bäumen – oder doch? des Finance & Trade Watch sowie des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika. Die Broschüre zeigt auf, dass man nur die Aspekte der Natur ökonomisch bewerten kann, die auch ökonomisch messbar sind. Im Fall eines Flusses ist das zum Beispiel die Angabe, wie viel Energie er produzieren kann. Dazu die Ermittlung, wie viel Wasser er enthält und wie viele Fische man darin fischen kann. Die Zahlen, die am Ende veröffentlicht werden, verfälschen jedoch die Realität oder vereinfachen sie zumindest stark. Denn sie verschleiern, was alles nicht berechnet wurde. Bezogen auf den Fluss könnte das gravierende Konsequenzen haben. So zum Beispiel, wenn die Kapazität zur Energieerzeugung als die wertvollste Dienstleistung angesehen würde. Hier würde dann vielleicht ein Wasserkraftwerk gebaut werden, anstatt dass man versuche, den natürlichen Verlauf des Flusses zu bewahren.

Wird Natur mit ihrer ökonomischen Einordung zur Ware?

Man muss befürchten, dass mit der ökonomischen Naturbewertung Kompensationen forciert werden. Was kompensiert werden soll, muss man erst berechnen. Dass Eingriffe in die Natur durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden können, ist zwar Teil des Naturschutzes. Doch zerstört man die Umwelt an Ort A, kann man sie nicht, wie es so schön heißt, „äquivalent“ an Ort B wiederherstellen, erklärt der Verein Finance & Trade Watch. Kompensation könne anstatt zu „Netto Null“ sogar zum Verlust etwa von Biodiversität führen. Auch hat der Emissionshandel gezeigt, dass sich Kompensation schnell zur Norm entwickeln kann. Anreize zur Vermeidung und Reduktion von Umweltschäden gehen somit verloren. Noch dazu schließt Kompensation meist den Handel mit Gutschriften über das jeweilige Naturgut (Boden, Wald) mit ein.

Der Verein mahnt, dass Natur damit zu einer Ware werde, die für die Finanzmärkte interessant sei. Banken und Konzerne seien nicht plötzlich einsichtig geworden und würden sich daher für den Umweltschutz einsetzen. Stattdessen würden sie nur ihre Investitionen auf neue Bereiche ausdehnen – auf die Natur und das, was sie leiste. „Und je mehr sich in Geld ausdrücken lässt, desto interessanter wird es für sie“, so die Vermutung des Vereins.

 

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