Negative Berichterstattung – Wie uns Nachrichten beeinflussen
Wer Gründe zur Verzweiflung sucht, muss nur einen Blick in die aktuelle Nachrichtenlage werfen. Nicht nur die täglichen Meldungen zur Corona-Pandemie fordern uns heraus. Auch sonst geben uns Headlines über Krisen und Missstände zu verstehen: In der Welt scheint alles schief zu laufen. Was die tägliche negative Berichterstattung in unseren Köpfen anrichtet und wie wir damit umgehen können – darüber haben wir mit Prof. Dr. Maren Urner gesprochen. Im Interview erklärt uns die Neurowissenschaftlerin außerdem, was wir gegen Hassrede ausrichten können und wie schwierig es für unsere Gehirne ist, mit der Corona-Pandemie klar zu kommen.
Inhalt
Prof. Dr. Maren Urner über negative Berichterstattung und wie wir damit umgehen können
Täglich stürzt eine Flut an Informationen auf uns ein und meist sind sie ziemlich deprimierend. Was macht das mit uns, wenn wir dauernd mit negativen Nachrichten konfrontiert werden?
Erst einmal bewirkt das rein faktisch gesehen, dass wir mit einem zu negativen Bild durch die Welt laufen: Wir also eine Vorstellung von dieser Welt haben, die nicht der Realität entspricht. Und das können wir auch ganz einfach herausfinden mit einem vom Gesundheitsforscher Hans Rosling entwickelten Wissenstest, den ich seit mehr als fünf Jahren immer nutze, wenn ich irgendwo Vorträge halte, auftrete oder mit Menschen ins Gespräch komme. Eine der Fragen lautet: „Wieviel Menschen weltweit können lesen und schreiben?“ Die drei Antwortmöglichkeiten: 40, 60 oder 80 Prozent. 80 Prozent ist richtig, doch die meisten Menschen tippen 40 oder 60 Prozent. Auch bei den anderen Test-Fragen schätzen sie die Lage negativer ein.
Egal, wo ich hinkomme und diesen Test mache: Die Menschen haben ein zu negatives Weltbild. Das ist nicht nur meine Erfahrung, sondern deckt sich mit den Ergebnissen von Untersuchungen in vielen Ländern. Auch in Deutschland wurde der vollständige Test 2014 mit einer repräsentativen Stichprobe durchgeführt und es hat sich das gleiche Bild gezeigt.
Wir könnten jetzt sagen: Okay, das ist nicht weiter schlimm. Die Menschen haben eben ein Bild davon, dass die Welt noch schlechter ist als sie ohnehin schon ist. Vielleicht werden sie dann aktiv und ändern diese Umstände. Das ist eine Vorstellung, die auch relativ verbreitet ist unter Journalisten. Die Ergebnisse aus Psychologie und Neurowissenschaft zeigen aber, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Weil die negative Berichterstattung nämlich auch dazu führt, dass wir in einen Zustand chronischen Stresses geraten können.
Stress an sich ist erstmal nichts Negatives, sondern ein Schutzmechanismus des Körpers. Das Problem ist aber: Wenn wir potenziell 24 Stunden am Tag, am besten auf drei Kanälen gleichzeitig gesagt bekommen, wo es gerade überall brennt und knallt, kann der Stress chronisch und damit krankhaft werden. Und das wiederum kann chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen oder Depressionen fördern. Ganz wichtig: Der Dauerstress löst sie nicht zwangsläufig aus, aber er ist ein zusätzlicher Risikofaktor.
Das medial vermittelte Weltbild ermutigt uns nicht zur Änderung von Missständen, sondern bewirkt das Gegenteil?
Richtig. Da uns die vornehmlich negativen Nachrichten auch vermitteln, dass wir nichts tun können. Wie sollen wir Kriege beenden, Naturkatastrophen stoppen oder Diktatoren loswerden? Der Zustand, der in der Psychologie als „erlernte Hilflosigkeit“ bezeichnet wird, beschreibt, dass wir lernen, nichts ausrichten zu können. Wenn wir ständig mit Problemen und Herausforderungen konfrontiert werden, ohne über mögliche Auswege zu diskutieren, lernen wir, nichts tun zu können und sagen dann vielleicht irgendwann: „Okay, wir ziehen uns zurück“ – und kochen – ein bisschen vereinfacht gesagt –Marmelade ein, pflegen unsere Familien, kümmern uns um unseren Garten oder um Dinge in der näheren Umgebung. Also all das, was wir kontrollieren können. Alles andere, inklusive der gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wird ausgeklammert, weil wir nicht das Gefühl haben, etwas ändern und beitragen zu können. Das führt in letzter Konsequenz nicht zu einer partizipativen Demokratie, sondern zu einer abgeschotteten Gesellschaft.
Das Ausblenden der Medien ist wahrscheinlich eine ähnliche Bewältigungsstrategie?
Ja, und Bewältigungsstrategie ist genau der richtige Begriff aus der Psychologie. Weltweit lässt sich das sogenannte Phänomen der „News-Avoidance“ beobachten, also der Nachrichtenvermeidung. Die Prozentzahl der Menschen in vielen Ländern steigt, die sagen: „Ich wende mich regelmäßig, häufig oder immer von den Nachrichten und dem Weltgeschehen ab.“ Hier spielt die Bewältigungsstrategie „Bis hier und nicht weiter, um mich selbst zu schützen“ eine Rolle. Wer sich allerdings gar nicht oder sehr selektiv informiert, kann sich keine fundierte Haltung bilden – das ist am Ende des Tages nicht demokratieförderlich.
Ein anderes Extrem ist das sogenannte Phänomen der „Fear of missing out“ – auch als FOMO bekannt. Es meint die ständige Angst, etwas zu verpassen. Der ständige Drang „hinterherzukommen“ bringt mit sich, was wir eben besprochen haben: Stress und Überforderung. Wir sehen häufig, dass Menschen getrieben von der Angst, etwas zu verpassen, nur die Überschriften lesen, gerade im digitalen Bereich, wo es teilweise 90 Prozent sind, so das Ergebnis von Studien. Und vieles wird einfach weitergeleitet, ohne gelesen worden zu sein.
Wie geht man mit den Medien um, ohne Gefahr zu laufen, in solche Extreme abzudriften?
Die Frage ist: Wie bekommen wir eine gesunde Abgrenzung und Distanzierung hin? Einen solchen differenzierten Mittelweg zu finden, ist natürlich individuell. Aber eine wichtige Frage, die sich jeder stellen kann, ist die Frage der Medienhygiene. Sich einfach zu überlegen: Wir putzen uns ja auch die Zähne, warum aber betreiben wir so wenig Hygiene mit unserem wahrscheinlich empfindlichsten Organ, unserem Gehirn? Wir können uns überlegen: „Was möchte ich wo und wann konsumieren?“ Das hat nichts mit Ausblenden zu tun, sondern mit einer bewussten Entscheidung. Vielleicht sagt der eine: „Morgens nehme ich mir eine Stunde Zeit, um Zeitung zu lesen oder Podcasts zu hören“, der andere macht das vielleicht zu einer anderen Tageszeit und kürzer. Da gilt es ehrlich zu sein und zu sagen: „Das ist das Format, die Zeit, die Regelmäßigkeit und Frequenz, die mich nicht unter Stress setzt, mir aber gleichzeitig ein Stück weit die Welt erklärt.“
Trotzdem wandern so womöglich Informationen in unseren Kopf, die unser Weltbild „negativieren“. Wie also muss sich die Berichterstattung ändern?
Wenn wir häufig das Negative wie durch ein Brennglas verstärkt gezeigt bekommen und dabei zum Beispiel ausgeklammert wird, welche Menschen und Initiativen es bereits gibt, die sich über die Zukunft Gedanken machen, wird ein großer und wichtiger Teil der Realität nicht abgebildet. Es fehlt in der Berichterstattung häufig die Frage: „Was jetzt, wie kann es weitergehen?“ Es geht nicht darum, dass sich Journalisten die Lösung überlegen und die Rolle von Politikern, Unternehmern und Wissenschaftlern übernehmen sollen, sondern dass sie den zusätzlichen Schritt in der Berichterstattung gehen, in dem sie die zusätzliche Frage nach dem „Was jetzt?“ stellen und dadurch ein vollständigeres Bild der Realität geben. Das wiederum sorgt bei den Rezipienten für andere Emotionen und kann nicht nur das Verständnis, sondern auch die Handlungsfähigkeit fördern.
Der Psychotherapeut Steve de Shazer hat die damit einhergehende Diskursverschiebung sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Das Reden über Probleme schafft Probleme. Das Reden über Lösungen schafft Lösungen.“ Unsere Denkweise bestimmt den Diskurs und unser Denken bestimmt unser Handeln in der Welt. Wenn wir uns nur in problemorientierten Kreisen bewegen, dann kommen wir nicht dahin, lösungsorientiert zu denken und zu handeln.
Mit Ihrem Online-Magazin „Perspective Daily“ zeigen Sie, wie das funktionieren kann …
Was wir hier praktizieren ist Konstruktiver Journalismus. Ein Journalismus, der nicht bei der Problembeschreibung endet, sondern die angesprochene „Was jetzt“-Frage zentral mitdenkt. Beiträge oder gar Rubriken, wo diese Frage gestellt wird, gab und gibt es natürlich schon, aber nicht genug. Wir haben uns gesagt: Wir brauchen mehr davon und haben mit „Perspective Daily“ ein Format geschaffen, das nur Konstruktiven Journalismus macht. Im deutschsprachigen Raum sind wir das erste Online-Magazin für diese Art des Journalismus ohne Werbung. Die Redaktion wird von den Lesern und Mitgliedern finanziert. Auch wenn es vielleicht simpel klingen mag, ist die Umsetzung, die Was jetzt-Frage zentral zu positionieren, komplex. Denn die Frage spannt sich wie ein Schirm über unsere gesamte Redaktionsarbeit: Die Recherche, die Interviews, alles was ich tue – auch die Bildauswahl, die ausgewählten Tonstücke – wird dadurch mitbestimmt.
Wenn Menschen bei sich und ihrer Medienhygiene ansetzen, dann können sie sich bewusst für konstruktive Beiträge und Formate entscheiden. Und damit auch der medienproduzierenden Seite zeigen: Das ist das, wovon wir mehr wollen.
In den gängigen Medien wurde so gut wie nicht beleuchtet, dass die Corona-Pandemie auch mit der Zerstörung von Lebensräumen und dem Artenschwund zu tun hat. Damit hätte man gut zeigen können: Gerade müssen wir die Situation hinnehmen. Aber langfristig gesehen können wir etwas tun, um das Risiko eines neuen Virenausbruchs zu reduzieren …
Das ist genau richtig. Und das ist etwas, was den Konstruktiven Journalismus stark mitbestimmt und ich unter dem Begriff der Einordnung zusammenfasse. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, die Welt ist komplex. Und es ist ein ganz großes Thema auch hier zu sagen: Welche Handlungsoptionen habe ich für mich, in meinen Wirkungskreisen als Privatperson, als Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Politiker, also in den Rollen, in denen ich unterwegs bin? Und die dafür notwendigen Zusammenhänge darzustellen und eine Einordnung zu geben, das ist eine wichtige Zutat bei der Was jetzt-Frage im Konstruktiven Journalismus.
Wenn man seine Ansichten online teilt oder Beiträge in sozialen Medien kommentiert: Wie wird man selbst dem Anspruch an konstruktive Kommunikation gerecht?
Das ist ein guter Punkt, bei sich selbst anzufangen: nicht nur mit der eigenen Medienhygiene, sondern auch in der Kommunikation. Gerade in Zeiten des digitalen Austauschs und der vermeintlichen Anonymität im Netz ist es ein zentrales Thema. Einen guten Weg beschreibt in der Philosophie das hermeneutische Wohlwollen. Also erst mal anzunehmen, die andere Person meint es nicht schlecht. Beziehungsweise nicht darauf aus zu sein, das lauteste und beste Argument zu haben und alle von der eigenen Meinung zu überzeugen, sondern wirklich erst mal zuzuhören und zumindest den Versuch zu starten, sich gegenseitig zu verstehen.
Das Schöne ist: Wenn ich das gebe, dann kommt das auch so zurück. Es zeigt sich nicht nur im Online- , sondern auch im analogen Diskurs, dass dies einen riesigen Wirkungsgrad haben kann und auch gegen Hassrede wirkungsvoll ist. Da gibt es zum Beispiel unter dem Hashtag „ichbinhier“ eine Initiative, unter der bereits 45.000 Menschen vereint gegen Hassrede im Netz agieren. Entdecken sie Hassrede und entsprechende „Brandherde“, schwärmen sie wie ein Bienenschwarm aus und praktizieren konstruktive Gegenrede. Erste Studienergebnisse zeigen: Das funktioniert! Es kreiert eine andere Diskussionskultur.
Das zeigt auch: Wir müssen weg von der schweigenden Mehrheit. Es ist nur eine schreiende Minderheit, die die gefühlte Verrohung des Diskurses praktiziert. In einer Gruppe gemeinsam gegen Probleme wie Hassrede mitzuwirken, löst auf persönlicher Ebene außerdem gute Gefühle aus – weg von der erlernten Hilflosigkeit, hin zu: „Ich bin nicht allein und kann etwas bewirken!“
Was wir gerade im Zuge der Corona-Pandemie sehen: Die in den sozialen Medien kursierenden Verschwörungstheorien und Fake News, dazu die Demos auf der Straße: Wie ordnen Sie diese Geschehnisse ein?
Hier spielt ein wichtiger Aspekt der Funktionsweise unseres Gehirns mit rein. Was wir gerade erleben ist ein kollektives Gefühl des Kontrollverlusts. Das mag jetzt für manche wie eine Überraschung klingen: Aber nichts im Leben ist sicher. Natürlich können wir bestimmte Strukturen schaffen, uns versichern lassen usw., um unser Gefühl von Sicherheit zu steigern. Klar herrschte vor Corona in vielen Bereichen eine andere Planungssicherheit als wir sie jetzt haben. Und klar ist auch, dass Menschen global unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind. Doch dieses globale Gefühl des Kontrollverlusts ist etwas, was jedes menschliche Gehirn überhaupt nicht cool findet. Anders formuliert: Unser Gehirn versucht ständig, Unsicherheit bzw. Ungewissheit zu minimieren und ist dabei eine Art Vorhersagemaschine. Aktuell versucht es die ganze Zeit vorherzusagen und rennt dabei immer in Fragezeichen rein, um es mal bildlich auszudrücken. Daraus entsteht das Gefühl des Kontrollverlusts.
Das wiederum ist ein spannendes Forschungsfeld, das sich damit beschäftigt, wer besonders stark auf Verschwörungsgeschichten reagiert, um sich Zusammenhänge zu erklären. Aus Studien wissen wir, dass Menschen, die sich generell sehr nach Kontrolle sehnen und alles im Blick haben wollen, in einer Zeit der Verunsicherung und des Kontrollverlusts besonders anfällig für Verschwörungsgeschichten sind.
Wichtig ist also: Wir alle suchen immer nach Sicherheit und Erklärungen. So tendiert unser Gehirn dazu, überall Kausalitäten zu sehen – auch dann, wenn es keine gibt, zum Beispiel zwischen der Anzahl Störche und neugeborener Kinder. Also, wenn X dann Y. In den meisten Fällen ist die Welt nicht so einfach, sondern komplex. Die Klimakrise oder was wir jetzt in der Corona-Pandemie erleben, ist eine komplexe Situation. Verschwörungserzählungen liefern vermeintlich einfache Erklärungen, in dem sie uns zum Beispiel weismachen wollen, dass jemand hinter dem Virus steckt und davon finanziell oder auf andere Weise profitiert.
Haben Sie einen Rat, wie man damit umgehen kann, wenn jemand im privaten Umfeld kruden Geschichten anhängt?
Der letzte Weg, der geschlossen wird, sind die persönlichen Verbindungen. Wenn Sie Menschen noch erreichen können, die in gewisse Irrglauben oder Verschwörungsmythologien drohen abzurutschen, dann läuft das am ehesten über private und persönliche Kontakte. Denn das wichtige Stichwort hier ist: Vertrauen. Und wem vertrauen die entsprechenden Menschen dann nicht mehr? Den Medien, der Politik und anderen Entscheidungsträgern.
Dabei ist es wichtig, nicht mit Fakten zu kommen, weil wir plattgesagt Gefühle nicht mit Fakten negieren oder löschen können. Es hilft darum auch nicht, sich auf einer konkreten Ebene zu Maßnahmen, wissenschaftlichen Positionen oder Politikfragen zu äußern. Besser ist es, eine Ebene höher zu gehen und zu fragen: Warum glaubst du das? Wie soll eine solche Absprache stattgefunden haben (wenn wir uns schon nicht einigen können)? Welches Ziel soll dahinterstecken? Dabei sollte man versuchen, sich auf die Argumente und Motive des Gesprächspartners einzulassen und darauf einfühlsam zu reagieren, anstatt das Gesagte wegzukommentieren. Also logisch und empathisch zugleich.
Über unsere Interviewpartnerin in Sachen negative Berichterstattung und wie wir damit umgehen können
Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Sie ist Mitgründerin von Perspective Daily – dem ersten Online-Magazin im deutschsprachigen Raum für Konstruktiven Journalismus – und Autorin des Buches „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren“.