Postwachstumsökonomie: Ohne Abstriche am Wohlstand kein Klimaschutz
Schmelzende Gletscher, Extremwetter wie Dürren und Stürme, versinkende Küstenstädte und Lebensmittelknappheit – die Folgen der globalen Erwärmung sind schon jetzt spürbar und drohen katastrophal zu werden. Um die Auswirkungen des Klimawandels in Grenzen zu halten, hat sich die weltweite Staatengemeinschaft darauf verständigt, die Erderwärmung auf 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das erklärte Ziel für Deutschland ist es, bis 2030 55 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen. Wie sich das erreichen lässt, darüber verhandelt derzeit das Klimakabinett der Bundesregierung. Konsens besteht darüber, dass es einen Preis auf Kohlenstoffdioxid (CO₂) geben wird – ob als Steuer, Abgabe oder Emissionshandel. Klimafreundliche Verhaltensmuster und insbesondere emissionsarme Technologien sollen damit gefördert werden. Der grundlegende Ansatz dahinter: Emissionen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum zu verringern.
Der Wachstumskritiker Prof. Dr. Niko Paech hingegen vertritt die Meinung, dass dem Klima nur geholfen ist, wenn wir unsere Lebens- und Wirtschaftsweise grundlegend ändern und niemand mehr über seine Verhältnisse lebt. Das dafür geeignete Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell sieht Niko Paech in der Postwachstumsökonomie – einem System, das nicht weiter auf Wachstum, sondern auf eine Reduktion unserer Konsum- und Mobilitätsansprüche setzt. Wie es mit der Postwachstumsökonomie klappen kann und was Niko Paech von den politischen Ansätzen hält, erklärt er in unserem Interview.
Inhalt
Bei der Frage, wie Deutschland seine Treibhausgasemissionen senken kann, wird aktuell über eine Bepreisung von CO₂-Emissionen diskutiert. Was halten Sie davon?
Wenn die Steuer auf einem zu geringen Niveau verharrt, werden keine Wirkungen erzielt, weil die Kaufkraft des überwiegenden Teils der Bevölkerung inzwischen derart hoch ist, dass die liebgewonnenen und CO₂-trächtigen Handlungen kaum verringert werden. Mit der puren Existenz einer CO₂-Steuer wird alles, was dann noch an klimaschädlichen Praktiken stattfindet, perfekt gerechtfertigt. Individuelle Verantwortung wird ausgeschaltet, denn zuständig ist die CO₂-Steuer. Insoweit diese direkt oder indirekt gezahlt wurde, ist jede Schuld abgegolten. Sich von Gewissensbissen freizukaufen, wird damit sehr einfach. Um die CO₂-Steuer hingegen auf eine Höhe zu bringen, die tatsächlich messbare ökologische Entlastungen zeitigt, wäre das demokratische Votum ausgerechnet derjenigen vonnöten, deren klimaschädlichen Handlungen dann unbezahlbar würden. Ich wüsste nicht, was unwahrscheinlicher sein könnte.
Preisanreize hätten den Vorteil, dass verstärkt in emissionsarme Technologien investiert werden würde. Und wenn unsere Wirtschaft damit „grüner“ wird, kann das doch nur gut für Umwelt und Klima sein, oder?
Es existieren keine emissionsarmen Technologien, die den Widerspruch zwischen der als Fortschritt gefeierten modernen Lebensweise und dem Überleben der menschlichen Zivilisation lösen könnten. Die erneuerbaren Energieträger oder etwa die Elektromobilität, um zwei prominente Beispiele zu nennen, erfüllen diesen Zweck jedenfalls nicht im Entferntesten. Selbst wenn derlei Konzepte die Emissionen senken könnten, dafür aber andere und neue Umweltprobleme – denken wir nur an Landschaftszerstörungen und die Lithium-Gewinnung – auf die Spitze treiben, was ist dann gewonnen? Außerdem lässt die Verteuerung fossiler Ressourcen oder von CO₂-Emissionen die vermeintlichen Alternativen, die seit Langem verfügbar sind, nicht billiger werden. Also sollte man so ehrlich sein und einräumen, dass jede wirksame Lösung erstmal die Bereitschaft voraussetzt, schädliche Wohlstandsspitzen zu kappen und besonders ruinöse Handlungen einzuschränken.
Als Alternative plädieren Sie für eine Postwachstumsökonomie. Was ist der Ansatz dieses Modells und wie würde unser Leben in einer Postwachstumsgesellschaft aussehen?
Da die Entkopplung des Wohlstandes kraft technischer Innovationen gescheitert ist, verbleibt als letzte Möglichkeit nur die Reduktion des industriellen Outputs. Um in einer kleineren Wirtschaft würdig leben zu können, bedarf es hinreichender Suffizienz, also genügsamerer Ansprüche. Dies entspräche keinem Verzicht, sondern einer Befreiung von jenem Überfluss, der das Leben vieler Menschen in modernen Konsumgesellschaften verstopft, weil er Zeit und Aufmerksamkeit raubt, uns also ohnehin längst überfordert.
Sodann wäre die durchschnittliche Lebensarbeitszeit zu verkürzen und so zu verteilen, dass Vollbeschäftigung bei geringerer volkswirtschaftlicher Produktion möglich ist. Das könnte auf eine 20-Stunden-Woche hinauslaufen. Die frei gewordene Zeit ließe sich verwenden, um durch eigene Leistungen zur Befriedigung von Bedürfnissen beizutragen, etwa durch eigene Produktion in Gärten und Werkstätten, mithilfe von Nutzungsdauerverlängerung durch Reparatur und Instandhaltung sowie durch die gemeinschaftliche Nutzung besonders teurer Güter wie Auto, Waschmaschine, Rasenmäher, Werkzeuge etc. Damit ließe sich viel Geld zu sparen.
Weiterhin könnten regionalökonomische Leistungen einen Teil der Industrieproduktion unnötig werden lassen, etwa durch den Handel mit aufgearbeiteten Produkten, durch Verleihsysteme und ökologische Landwirtschaft. Die dann verbleibende, deutlich verkleinerte Industrieproduktion müsste auf einem langlebigen und leicht zu reparierenden Produktdesign beruhen. Flankierende Maßnahmen bestünden darin, das Erziehungs- und Bildungssystem so zu verändern, dass Sesshaftigkeit, Selbstversorgerkompetenzen und ein achtsamer Umgang mit Gütern vermittelt werden.
Mit einer Klimaentlastung durch Reduktion des Industrie-Outputs gehen also keine Massenarbeitslosigkeit und Versorgungsengpässe einher?
Nein, denn Vollbeschäftigung ließe sich absehbar so oder so nur noch auf Basis einer Arbeitszeitverkürzung und -umverteilung erreichen. Außerdem wäre eine zukunftsbeständige, zumal krisensichere Versorgung nur darstellbar, wenn sie zwei Kriterien erfüllt. Erstens müsste sie viel genügsamer sein, aber nicht etwa durch eine Reduktion der Befriedigung von Grundbedürfnissen, sondern eine Einschränkung jenes dekadenten Luxus, der vor Kurzem noch undenkbar war. Zweitens muss sie möglichst unabhängig von industrieller und globaler Zufuhr sein, also in möglichst hohem Maße auf eigenen Leistungen beruhen.
Jeder könnte damit anfangen, genügsamer und damit klimafreundlicher zu leben. Doch die Mehrheit tut sich trotz Problembewusstseins schwer damit, wie etwa der ständig wachsende Flugverkehr zeigt. Lebensstile im Sinne der Postwachstumsökonomie haben dennoch eine Chance sich durchzusetzen; Sie sprechen hier von Avantgardisten …
Der Mensch ist ein soziales Wesen, deshalb passt er sich den Handlungsweisen derer an, die ihn umgeben, die ihm etwas bedeuten. Wer also neue Lebensstile vorlebt, wird – ob er will oder nicht – wahrgenommen und verändert damit die Maßstäbe seiner Mitmenschen. Wir brauchen daher Widerstandsnester gegen den Konsum- und Technikwahn, in denen sich eine Elite bildet, die praktikable Genügsamkeit vorlebt. Ohne solche Avantgardisten, die das Rückgrat haben, sich dem schädlichen Wohlstand auch dann zu verweigern, wenn sie als rückständig beschimpft werden, ist kein Wandel denkbar.
Es ließe sich auch von einem sozialen Regulativ sprechen, das darin besteht, im Sinne einer Selbstermächtigung erstens die Missbilligung öko-suizidaler Handlungen und Prozesse angemessen zum Ausdruck bringen, zweitens für diese maximalen sozialen Rechtfertigungsdruck aufzubauen und drittens die dabei angelegten ökologischen Maßstäbe durch eine entsprechende Lebensführung praktisch auf sich selbst anzuwenden. So entstehen Kopiervorlagen, an denen sich jene orientieren können, die begriffen haben, dass wir uns auf technischen Fortschritt und politische Mehrheiten für ein Überlebensprogramm nicht mehr verlassen können.
Anmerkung der Red.: Als Avantgardisten, die postwachstumstaugliche Praktiken bereits vorleben, nennt Niko Paech in seinen Veröffentlichungen und Vorträgen unter anderen die Transition-Town-Bewegung, die Do-it-yourself-Kultur, Repair-Cafes, die Share-Economy und die Urban Gardening-Bewegung.
Solch ein Wandel braucht aber Zeit, die wir womöglich nicht mehr haben. Bleibt uns also doch nichts Anderes übrig, als auf die politischen Lösungen zu vertrauen?
Wenn die Technologie nicht nur versagt, sondern überdies sogar zusätzliche Schäden verursacht, bleibt logischerweise nur die Reduktion der Wohlstandsansprüche als Lösung. Das heißt aber, dass auch jede Politik, die die Ökosphäre entlasten will, nur darin bestehen könnte, die Mobilität, den Konsum, die Techniknutzung, die Bauaktivitäten, den Fleischverzehr etc. deutlich einzuschränken. Glaubt wirklich jemand, dass dieselben Menschen, die genau diesen Wohlstand noch immer mit allen Mitteln verteidigen und sich kein genügsameres Leben vorstellen wollen, eine Politik wählen, die ihnen genau dies aufzwingt? Nein, nicht die Politik ändert die Erwartungen und Praktiken der Menschen, sondern umgekehrt wird sich die Politik erst ändern können, wenn sie genug vorgelebte Beispiele (Anmerkung der Red.: Etwa die zuvor erwähnten Avantgardisten) für die Bereitschaft zur Anspruchsreduktion erkennen kann, die ihr die Sicherheit geben, auf genügend Wählerresonanz zu stoßen, wenn sie endlich echte Nachhaltigkeitspolitik umsetzt.
Über unseren Interview-Partner zur Postwachstumsökonomie
Niko Paech ist Volkswirt und einer der prominentesten Vertreter der Postwachstumsökonomie. Er lehrt und forscht an der Universität Siegen als außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomik. Niko Paech hat mehrere Bücher verfasst, unter anderen „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Niko Peach verbreitet seine Vision nicht nur, er lebt sie auch: Er hat kein Auto, kein Fernsehen und kein Smartphone, er fliegt nicht, isst vegetarisch, trägt Secondhand und teilt sich mit Gleichgesinnten eine Waschmaschine und andere Gebrauchsgegenstände.