Resilienz: Balance finden zwischen Innehalten und Wagemut

Den Begriff ‚Resilienz‘ haben Psychologen bereits in den 1950er-Jahren eingeführt. In ersten Studien ging es um die Fragestellung, wie gut Kinder trotz schwieriger sozialer Verhältnisse durchs Leben kommen. Die These der Wissenschaftler: Widerstandskraft ist erlernbar. Heute geht es bei Resilienz nicht mehr nur um die persönliche Widerstandskraft, sondern auch um resiliente Organisationen wie Unternehmen oder gar eine ganze Gesellschaft. Die Beraterin Prof. Dr. Jutta Heller hat aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte klare Antworten, wie wir Phasen voller Verlust, Veränderung und Ungewissheit meistern können. Wir erreichen die Wissenschaftlerin (wie in diesen Tagen üblich) per Videokonferenz im Homeoffice.

Beraterin Prof. Jutta Heller spricht über Auswirkungen und Chancen durch Krisen

Wie waren die letzten Tage und Wochen für Sie – gab’s da Phasen, wo Sie verzweifelt waren?

Nach anfänglichen Irritationen, die ich auch körperlich spürte, habe ich mich ziemlich schnell reingefunden. Ich habe Online-Coachingformate entwickelt und hatte im Homeoffice gut zu tun.

Beneidenswert. Heißt das, wer einmal Resilienz gelernt hat, den haut so schnell nichts mehr um?

(lacht) Nein, im Gegenteil. Wir haben täglich mit Stressoren zu tun. Die führen dazu, dass wir ein Stück weit in eine Instabilität kommen. Es ist hilfreich, Resilienz immer im Kontext von kleinen, mittleren und großen Krisen zu denken. Insofern ist es normal, dass wir ein bisschen aus der Spur geraten. Wenn wir aber unsere Resilienz-Schlüssel trainiert haben, dann wirft es uns nicht mehr so sehr aus der Kurve.

Das gilt auch für Resilienz-Profis wie Sie?

Ja, ich hatte gerade einen Workshop mit Coaches. Ich habe alle nach Ihrer Selbsteinschätzung befragt – und sie haben geantwortet: Ja, wir hatten Phasen, in denen es uns nicht gut ging, aber wir sind wieder am aufsteigenden Ast. – Bei mir war es am Anfang der Corona-Krise so, dass ich zwei, drei Tage komplett ins reine Funktionieren und in meine alten Muster eingestiegen bin. Als ich mir als Selbstständige meine Finanzen angeschaut habe, kam kurzfristig Existenzangst auf. Ein gutes Korrektiv war dann auch mein lieber Mann – wir führen zusammen ein Bio-Hotel und hatten Stornierung samt Kurzarbeit – der dann sagte: Hey, was machst Du da eigentlich? Das half mir, auf mich mit der Experten-Brille zu schauen und erstmal innezuhalten.

Wie sind Sie selbst zum Thema Resilienz gekommen?

Zum einen war es eine private Krise wegen einer Trennung; zum anderen hatte ich acht Jahre eine Führungsposition an einer Hochschule, wo ich auf die Arbeitslast mit Herzschmerzen reagiert habe und dann die Führungsrolle aufgegeben habe. Dazu kommen 30 Jahre Selbstständigkeit mit vielen Aufs und Abs. 2005 habe ich bei einem Kongress den Begriff Resilienz gehört und gedacht: Das passt mit meinem Leben gut zusammen und könnte mein Thema werden.

Jetzt sind Sie mit ihrem Resilienz-Wissen sicher sehr gefragt …

Da könnte bald ein Boom kommen, ja. Zumal bisher Resilienz immer als Verantwortung des Einzelnen gesehen wurde – sehr oft mit der Haltung: Die Leute müssen halt belastbarer werden. Aber darum geht es nicht …

Sondern?

Aus meiner Sicht geht es um die innere Regulations-Kompetenz. Je nachdem, wie wir wahrnehmen und bewerten, führt das zu bestimmten Gefühlen. Wenn das dann zum Beispiel Ärger und Ängste auslöst, sind wir nicht mehr so gut denk- und handlungsfähig. Wir können aber anfangen, die Situation anders zu bewerten; und wir können bewusst auf positive Gefühle achten. So haben wir eher die Fähigkeit, im Außen situations-elastisch zu reagieren.

Es geht nicht darum zu sagen: entweder – oder! Sondern zu sagen: Auch mit Angst kann ich etwas tun und muss nicht in diese Blockade-Haltung reingehen. Beispielsweise kann ich mich bei der Arbeit im Homeoffice fragen: Welche Bedürfnisse habe ich aktuell? Meine Texterin arbeitet derzeit nur noch nachts, weil sie sagt: Das ist die einzige Zeit, in der ich mit Mann und Kindern zusammen zu Hause in Ruhe arbeiten kann. Momentan ist die Herausforderung, zwischen Nähe und Distanz die eigenen Bedürfnisse so zu justieren, dass ich mit der Situation gut klarkomme.

Ein Mann sitzt auf einer Sanddüne und stützt den Kopf in die Hand.
Ungewissheit oder Angst können uns regelrecht blockieren – was hilft ist in sich hineinzuhören.

Was bedeutet dieses Justieren bezogen auf das „Corona-Jahr 2020“?

(überlegt) Schwierige Frage, denn die Zukunft ist ungewiss. Wir wissen nicht, was kommt. Aufgrund dieser Ungewissheit braucht es noch mehr dieses ‚selbst auf sich achten‘ und immer wieder für Stabilität zu sorgen. Wenn wir diese haben, können wir uns mit der jeweils gegebenen Situation auseinandersetzen. Wir brauchen zwei Fokusse gleichzeitig: einerseits in die Zukunft – ich muss mich fragen, was meine Vision ist und was ich tun will; andererseits muss ich auf Sicht segeln und schauen, wie ich gut durch meine Tage komme.

Was bedeutet Resilienz für Unternehmen?

Einige Unternehmen profitieren gerade sehr von der Krise, andere schaffen es nicht. Dementsprechend braucht es aktuell ein neues Denken bei den Unternehmen, wie sie mit den großen Risiken umgehen können; zum Beispiel mit Redundanzen bei den Lieferketten oder beim Personal, für das sie künftig vielleicht ein Springer-Konzept entwickeln. Und es gilt auch ganz klar zu sagen, was sind meine Kernprodukte und Kernprozesse. Unternehmen, die jetzt optimieren und auf Innovation setzen, werden langfristig auch gestärkt aus der Krise hervorgehen. Aus meiner Sicht geht es um die Gratwanderung: Hier beschränke ich mich – und da gehe ich volle Kanne rein. Dafür braucht es Wagemut.

Was kann ich tun, um resilienter zu werden?

Erster Schritt: Inne halten, das heißt die Situation wahrnehmen und die eigenen Bedürfnisse erkennen. Vor allem nicht weiter über die Grenzen gehen und sich letztlich dabei auspowern. Um sich selbst zu stärken, lohnt es sich, auf positive Emotionen zu schauen und kleine Rituale in den Tag einzubauen. Als Zweites ist es wichtig zu schauen, was die eigenen Stärken und Werte sind und eine Passung zu finden zwischen dem, was meine Stärken und Werte sind und was ich tue. Und dann sollten Sie immer auf das Thema Gesundheit achten.

Bei einigen ist das Glas immer halb voll, bei anderen immer halb leer. Inwieweit hat Resilienz auch was mit dem Charakter zu tun und ist nicht veränderbar?

Klar haben wir angeborene Eigenschaften. Wir wissen aber aus der Epigenetik, dass durch unser Umfeld Gene an- oder abgeschaltet werden können; vieles ist später noch veränderbar, wie zum Beispiel vom Pessimismus hin zu mehr Optimismus. Wenn wir also einen positiven Bewertungsstil entwickeln, können wir uns damit unterstützen und stärken. Auch Verhaltensmuster können wir ändern – zum Beispiel durch Coaching.

Eine Guppe junger Leute steht Arm in Arm auf einem Hügel und beobachtet den Sonnenuntergang
Kleine alltägliche Rituale helfen dabei, positiver zu denken. So kann man aus festgefahrenen Verhaltensmustern ausbrechen.

Mit all den Veränderungen, die wir gegenwärtig erleben: Was wird das mit uns machen?

(überlegt lange) Das ist ein Mix aus Hoffnung und Zuversicht. Bei vielen, die jetzt wegen der Corona-Maßnahmen demonstrieren, stehen ja Ängste im Hintergrund, aus denen Vorwürfe produziert werden; da hoffe ich sehr, dass das abnehmen wird, indem wir gesellschaftliche Unterstützung organisieren können wie zum Beispiel die Corona-App. Wir brauchen aber auch Zuversicht im Sinne von Zutrauen haben zu sich selbst; ich versuche durch meine Arbeit Impulse zu setzen, damit die Menschen wieder ihren Gestaltungsraum erkennen. Ich hoffe sehr, dass dadurch eine kritische Masse entsteht, die mit Eigenverantwortung unterwegs ist und sagt: Ja, wir haben sehr wohl eine Zukunft und ich kann das auch für mich gestalten, sodass es ganz gut wird.

Wenn neu investiert wird, kommt vielleicht der Klimaschutz mehr dazu. – Gedanklich bin ich schon eher auf der positiven Seite. Manchmal wird’s mir auch zu viel, und ich denke es ist auch derzeit angebracht, sich nicht zu viel von den ganzen Nachrichten reinzuziehen – zweimal täglich reicht locker, sodass man da schützend mit sich umgeht.

Die Interviewte im Porträt.
Unsere Interview-Partnerin Prof. Jutta Heller

Über Prof. Dr. Jutta Heller (58): Sie ist Beraterin und Trainerin für individuelle und organisationale Resilienz. Neben Ihrem Beratungs-Institut betreibt Sie mit ihrem Mann ein Bio-Hotel in Stein bei Nürnberg. Sie hat zahlreiche Bücher geschrieben, u.a. „Resilienz: 7 Schlüssel für mehr innere Stärke.“

Praktische Tipps: Die sieben Schlüssel zur Resilienz

  1. Akzeptanz: Nehmen Sie an, was Sie nicht ändern können (z.B. Maskenpflicht).
  2. Optimismus: Machen Sie sich jeden Tag bewusst, worüber Sie sich freuen konnten – und was Sie selbst zu dieser Freude beigetragen haben.
  3. Selbstwirksamkeit: Sie bestimmen mit Ihren Stärken und Bedürfnissen, was und wie Sie etwas tun. Das ist wie beim Fahrradfahren, wo Sie die Hände am Lenkrad haben und die Richtung und das Tempo bestimmen.
  4. Eigenverantwortung: Machen Sie sich eigene Leistungsgrenzen bewusst und entwickeln Sie unterstützende Glaubenssätze.
  5. Netzwerkorientierung: Nehmen Sie Hilfe an – oder fragen Sie aktiv danach. Soziale Kontakte sind wichtig!
  6. Lösungsorientierung: Setzen Sie den Fokus auf das, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben; dazu gehören auch langfristige Visionen.
  7. Zukunftsorientierung: Entwickeln Sie Ziele und setzen Sie Prioritäten, wie sie Ihr Leben gestalten wollen. Ein schönes Konzept: Bilden Sie Zeiteinheiten entsprechend ihrem Lebensalter und nehmen Sie sich dazu etwas vor; wenn Sie z.B. 58 Jahre alt sind gehen Sie pro Woche 58 Minuten spazieren; oder Sie nehmen sich 58 Sekunden pro Tag Zeit, um ganz bewusst zu atmen.

 

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