Tenside: Wie sie wirken und wofür wir sie brauchen
Ein Leben ohne Tenside? Das wäre ziemlich gewöhnungsbedürftig: Die frisch gewaschene Wäsche hätte noch Flecken, das Geschirr ließe sich nicht richtig säubern, ganz zu schweigen von unseren Haaren, die trotz Duschwasser unappetitlich glänzen würden. Die Zahnpasta ließe sich nicht im Mund verteilen und die Gesichtscreme würde nicht in die Haut einziehen. Im Büro stünden Drucker mit einer maximalen Auflösung von einem Zentimeter. Und schließlich würde uns das Abendessen vom Vortag noch schwer im Magen liegen, weil unser Stoffwechsel natürliche Tenside wie Lecithin oder Gallensäure zum Funktionieren braucht.
Inhalt
Hier werden Tenside am häufigsten eingesetzt
Tenside gehören zu den am weitesten verbreiteten chemischen Verbindungen. Abgesehen von den natürlich vorkommenden Tensiden findet man sie in jedem Haushalt und in allen möglichen Alltagsprodukten. Wer dabei als erstes an Waschpulver denkt, liegt richtig. Denn Wasch- und Reinigungsmittel sind die Spitzenreiter im Tensidverbrauch: Auf sie entfallen mehr als die Hälfte der 2,5 Millionen Tonnen Tenside, die jährlich in Westeuropa verbraucht werden. Auf dem zweiten Platz folgen Kosmetik und Pharmazie mit rund 15 Prozent am Gesamtverbrauch. (Quelle: TEGEWA e.V.). Die Stoffe finden sich in vielen kosmetischen Produkten entlang des „Badregals“: in Shampoos und Duschgels, in Cremes und Make-ups. Beim Waschen und Reinigen spielen Tenside ihre große Stärke aus: Sie können wasserunlösliche Verschmutzungen wie lipidhaltige (also fetthaltige) Schmutzpartikel von der Wäsche, der Haut, dem Geschirr oder anderen Oberflächen entfernen und in Wasser lösen. Nicht umsonst werden Tenside oft mit dem Beinamen „Fleißige Verbindungen“ versehen.
Wie wirken Tenside?
Doch was befähigt Tenside dazu Wasser und Fette in Kontakt zu bringen? Es ist ihre besondere molekulare Struktur. Vereinfacht kann man sich ein Tensidmolekül als Streichholz vorstellen: Der Kopf ist wasserliebend (hydrophil), der Stab hingegen wasserabweisend (hydrophob) und zugleich fettliebend (lipophil). In einer wässrigen Lösung versuchen die hydrophoben Enden, dem Wasser auszuweichen. Sie wandern deshalb dorthin, wo das Wasser an einen anderen Stoff grenzt (z.B. Umgebungsluft, Öl, Festkörper). Die wasserliebenden Köpfe zeigen dabei in die wässrige Lösung.
Tenside belagern damit die Grenzflächen zwischen verschiedenen Stoffen und setzen so die Grenzflächenspannung herab. Darunter kann man sich vereinfacht eine gespannte Membran vorstellen. Tenside „entspannen“ die Membran und bringen so zwei Stoffe „zusammen“. Die fettige Bratpfanne ist ein prominentes Beispiel: Von Wasser allein zeigt die sich wenig beeindruckt. Das Wasser perlt einfach von der fettigen Schicht ab. Ein Spülmittel wirkt vermittelnd: Es setzt die Grenzflächenspannung zwischen beiden Stoffen herab und ermöglicht es so dem Wasser, die Pfannenschicht zu benetzen, anstatt als wirkungslose Tropfen an ihr abzuprallen.
Das Geheimnis der Reinigungs- und Waschkraft von Tensiden
Gut und schön. Doch wie genau löst sich nun das Make-up vom Gesicht, das Öl aus der Pfanne und der Fleck aus der Wäsche? Bei ihrer Reinigungsleistung kommt in der Tat noch eine andere geniale Eigenschaft der Tenside ins Spiel: Ihre Fähigkeit zur Bildung von kugelartigen Gebilden namens Micellen.
Die bilden sich im Spül- oder Waschwasser, wenn an den Grenzflächen kein Platz mehr ist und Tenside ins Wasser ausweichen müssen. Die wasserliebenden Köpfe richten sich wieder ins umgebende Wasser aus. Die wasserscheuen, fettliebenden Enden, lagern sich an Fett -oder Schmutzpartikel an und schließen diese ins Innere der Micelle ein. Dabei drängen sich die Tenside regelrecht zwischen die zu reinigende Oberfläche (Pfanne, Textilfaser, Haut) und den Schmutz und schließen diesen ein. Da die Micellen-Außenseite von wasserliebenden Köpfen gebildet wird, verteilen sich die umhüllten Schmutzpartikel im Wasser und können weggespült werden. Wenn es dabei schäumt, geht das im Übrigen auch auf das Konto der Tenside.
Welche Tenside gibt es und wo werden sie eingesetzt?
Nicht jedes synthetisch hergestellte Tensid eignet sich gleich gut für alle Anwendungen. Die einen können besonders gut waschen, während andere sich bestens zum Emulgieren eignen. Je nach elektrischer Ladung des hydrophilen Molekülteils unterscheidet man vier Gruppen von Tensiden:
- Anionische Tenside – sind negativ geladen. Stellen mengenmäßig die wichtigste Tensidgruppe dar. Sie schäumen stark, haben die höchste Waschkraft und werden daher in erster Linie für Waschmittel verwendet. Daneben findet man sie in Reinigungs- und Geschirrspülmitteln sowie in Hautreinigungs- und Pflegeprodukten/Shampoos.
- Kationische Tenside – sind positiv geladen. Sie reinigen weniger stark, machen dafür Wäsche weich, Haare gut kämmbar und wirken antistatisch. Sie sind Bestandteil von Weichspülern und Haarspülungen. Bestimmte Typen haben eine biozide Wirkung und kommen daher in Desinfektionsmitteln zum Einsatz.
- Nichtionische Tenside – tragen keine Ladung. Sie kommen als Wasch- und Reinigungsmittel sowie als Emulgatoren zum Einsatz. Ebenso findet man sie in vielen Hautreinigungs- und Pflegeprodukten. Sie sind weniger härteempfindlich als anionische Tenside und entfalten schon bei niedrigen Waschtemperaturen ihre Leistung.
- Amphotere Tenside – sind zugleich negativ und positiv geladen. Sie werden anderen Tensiden als Co-Tenside beigemischt und finden sich in Handspülmitteln, Shampoos und anderen Kosmetikprodukten.
Als Inhaltsstoff in Cremes & Co.
Tenside können, wie beschrieben, umhüllte Fettpartikel in Wasser verteilen. Sie ermöglichen also das Vermischen von zwei eigentlich nicht mischbaren Phasen. Man spricht dabei auch von Emulgieren. Vor allem bei der Herstellung von Cremes und Lotionen macht man sich Tenside als Emulgatoren zunutze, um wässrige und ölige Pflegestoffe in einer Emulsion zu vereinen. Die Tensidmoleküle umhüllen darin die Fettpartikel und hindern sie daran, wieder zusammenzufließen. So entstehen stabile Mischungen, in denen sich das Fett nicht wieder vom Wasser absetzt.
Was machen Tenside mit der Haut?
Beim Duschen, Händewaschen oder der Gesichtsreinigung schießen Tenside in ihrer Gründlichkeit oft übers Ziel hinaus: Sie entfernen nicht nur unerwünschte Fett- und Schmutzpartikel, sondern auch einen Teil des natürlichen Haut-Fettmantels. Die Haut wird so durchlässiger für Fremdstoffe und reagiert mitunter mit trockenen und schuppigen Stellen. Auch Schleimhäute können empfindlich reagieren; das berühmte Brennen in den Augen ist eine typische Begleiterscheinung. Allerdings lassen sich nicht alle Tenside über einen Kamm scheren – es gibt unterschiedlich stark wirkende.
Zu den allgemein aggressiveren Vertretern, die sowohl haut- als auch schleimhautirritierend wirken können, zählen die anionischen Tenside. Da die Kontakt- bzw. Einwirkzeit von Shampoos und Duschgels recht kurz ist, stellen sie für die meisten Menschen jedoch kein Problem dar. Wer allerdings schon Hautprobleme hat, sollte auf Produkte ohne diese Stoffe ausweichen. Häufig werden anionische Tenside durch die Kombination mit milderen, hautfreundlicheren „entschärft“. Zu diesen gehören die amphoteren Tenside, die erheblich das Irritationspotenzial von anionischen Tensiden verringern. Auch nichtionische Tenside sind tendenziell die milderen Tenside und häufig im Mix mit anionischen Vertretern anzutreffen.
Wie erkenne ich, welches Tensid ich in der Hautpflege meiden soll?
Bei einem großen Schaumberg sind meist anionische Tenside im Spiel, während Zucker- und Kokostenside weniger schäumen. Verlässlich ist das aber nicht. Außerdem gibt es so viele unterschiedliche Einzeltenside, dass es fast unmöglich ist, alle und ihr mögliches Hautirritationspotenzial zu kennen. Wer sich die INCI-Deklaration auf der Verpackung anschaut, kann jedoch grob die milderen von den weniger milden Tensiden unterscheiden. Ein kleiner Überblick:
- Unter den anionischen Tensiden erkennt man aggressive Vertreter an der Endung „-sulfat“. Prominente Beispiele: Sodium / Ammonium Lauryl Sulfat, Ammonium Laureth Sulfat. Graduell etwas milder wirken anionische Tenside wie Disodium Laureth Sulfosuccinat, Sodium Lauryl Sulfoacetat und Alkylcarboxylat. Als die hautfreundlichsten unter den anionischen Tensiden gelten Glutamate, zum Beispiel Disodium/Sodium Cocoyl Glutamat.
- Wichtigste Gruppe der nichtionischen Tenside sind die Fettalkoholethoxylate (FAEO). Vertreter dieser allgemein gut verträglichen Tenside sind zum Beispiel: Laureth-4 (auch 3, 7, 10) und Ceteth-20 (auch 2,10,24). Zu den mildesten Tensiden überhaupt zählen die nichtionischen Tenside auf Zuckerbasis. Sie erkennt man am Namen „Glucoside“. Beispiele: Caprylyl / Capryl Glucoside, Coco Glucoside.
- Die ebenso milden amphoteren Tenside enden oft mit der Bezeichnung „Betain“. Weitere amphotere Vertreter mit hautverträglichen Eigenschaften sind zum Beispiel Disodium Lauroamphodiacetate und Disodium Cocoamphodipropionate.
Tipp: Wer genau wissen will, welches Tensid sich hinter den Bezeichnungen verbirgt und welche Risiken es birgt, dem empfehlen wir folgende Such-Datenbanken:
- Europäische Chemikalienagentur (EACH). – knappe toxikologische Einstufung chemischer Inhaltsstoffe einschließlich der Tenside.
- S. National Library of Medicine – ausführliche Gesundheitsauswirkungen einzelner Substanzen.
- Codecheck – Hier kann man einen Produktnamen eingeben und bekommt, sofern das Produkt registriert ist, eine Auflistung der Inhaltsstoffe mit einer groben Einschätzung zu ihrer Bedenklichkeit.
Wer sich durch die Inhaltsangaben kämpft, sollte bedenken, dass die Hautverträglichkeit von der Gesamtformulierung und Tensid-Kombination bestimmt wird. Wem das alles zu kompliziert ist, greift zu zertifizierter Naturkosmetik. Zwar sind hier anionische Tenside nicht per se ausgeschlossen, allerdings stellen die meisten Hersteller höhere Anforderungen an die Tensid-Verträglichkeit als es bei konventionellen üblich ist.
Tenside aus Erdöl vs. nachwachsenden Rohstoffen
Tenside können aus nachwachsenden oder fossilen Rohstoffen (z.B. Erdöl) hergestellt werden. Gängige nachwachsende Rohstoffe für die Tensidherstellung sind unter anderen Palm- und Kokosöl sowie Mais- und Kartoffelstärke. Nichtionische Tensidgruppen haben gegenüber anderen den Vorteil, dass sie sich vollständig aus solchen Rohstoffen herstellen lassen. Andere wiederum, wie die anionischen Alkylbenzolsulfonate (LAS), lassen sich nur auf petrochemischer Basis erzeugen.
Welche Tenside für den Menschen verträglicher sind, lässt sich pauschal nicht sagen. Die Verträglichkeit hängt in erster Linie von der chemischen Struktur und nicht von der Rohstoff-Herkunft ab. Doch wie sieht es mit der Ökobilanz bei der Herstellung aus? Auswertungen unterschiedlicher Studien kommen zu dem Schluss, dass Tenside auf Basis nachwachsender Rohstoffe im Allgemeinen einen geringeren Energiebedarf haben und weniger Treibhausgase verursachen. Kritisch zu betrachten und kaum in den Bilanzen auswertbar sind jedoch vorgelagerte Anbaubedingungen nachwachsender Rohstoffe. Dazu zählen zum Beispiel der Einsatz energieintensiv hergestellter Dünge- und Pflanzenschutzmittel oder der Verlust von Kohlenstoffsenken durch Landnutzungsänderungen (z.B. Abholzung von Wäldern). Wer die Wahl hat, sollte daher zu Produkten mit Bio-Tensiden greifen, deren Rohstoffe aus nachhaltiger Bewirtschaftung stammen.
Stichwort Umweltverträglichkeit: Wie wirken Tenside auf Wasserorganismen?
Die Herstellung von Tensiden ist das eine. Doch wie sind sie in ihrer Umweltwirkung zu bewerten, wenn sie nach dem Waschen oder Duschen ins Abwasser und von dort weiter in Flüsse und Seen gelangen? Zunächst einmal wirken alle Tenside, egal welcher Herkunft, aquatisch toxisch. Denn durch ihre Grenzflächenaktivität können sie Wasserorganismen benetzen und so biologische Membranen schädigen, z.B. die Kiemenblättchen der Fische. Auch die Zelldurchlässigkeit für giftige Stoffe wie Schwermetalle oder Pestizide wird durch die Tensidbenetzung erhöht. Um die toxische Wirkung aufzuheben, müssen sie biologisch abgebaut werden.
Biologische Abbaubarkeit von Tensiden
Beim biologischen Abbau werden Tenside von Bakterien und Pilzen schrittweise in immer kleinere Bausteine zerlegt, bis am Ende nur noch harmlose Stoffwechselprodukte wie Wasser, Salze und Biomasse übrigbleiben. Die erste Welle an Bakterien macht sich bereits in der Kläranlage über die Stoffe her. Laut Umweltbundesamt beträgt die Verweildauer in einer Kläranlage meist aber weniger als ein Tag. Somit werden in der Regel auch nicht vollständig abgebaute Zwischenprodukte in die Oberflächengewässer geleitet. Tenside aus nachwachsenden Rohstoffen sind dabei nicht das Problem: Denn sie besitzen lineare Kohlenstoffketten, die von den Mikroorganismen leicht umgewandelt und entsprechend rasch abgebaut werden. Unter den petrochemischen Tensiden gibt es zwar auch einige gut abbaubare Vertreter. Generell sind sie aufgrund ihrer verzweigten Struktur für die Mikroorganismen aber nur „schwer verdaulich“. D.h. sie sind schwerer abbaubar als solche nachwachsenden Ursprungs und verbleiben damit länger im Wasser.